Gentrifizierung in Treptow – Johannisthal

Eine Zusendung An Karla Pappel:

„Offenes Schreiben an politische Akteure/Pressevertreter bzgl.
Gentrifizierung in Treptow – Johannisthal

Guten Tag,

wir wenden uns in einer Sache an sie, die eigentlich kein neues Thema in
dieser Stadt ist. Gentrifizierung und Immobilienspekulation. Diese
Prozesse sind längst nicht mehr nur ein dramatisches Problem der
Innenstadt und „angesagter“ Viertel, sondern es zeichnet sich bereits
jetzt deutlich ab, wie sich die Situation auch in den Randlagen
verschärft.
So ist z.B. der in dieser Hinsicht bisher kaum in Erscheinung getretene
Ortsteil Johannisthal bereits stärker betroffen, als man es bis vor kurzem
wohl vermuten konnte.
Aufgrund der uns vorliegenden Informationen sind alleine im engeren Sinn
schon hunderte Wohnungen betroffen. Tendenz: schnell zunehmend.

Das klingt vielleicht nicht viel in einem Ortsteil mit knapp 20000
Einwohnern, doch es handelt sich hier nur um den Teil, der bereits einen
auffälligen Hotspot bildet. Und noch schlimmer wird es, wenn man sich
anschaut welche berühmt-berüchtigten Akteure dahinter stecken.
So ziehen die einschlägig bekannten Entmietungsspezialisten der Ziegert
Bank- und Immobilienconsulting GmbH gerade einen Gebäudekomplex am
Sterndamm 66 hoch. Angepriesen werden die zukünftigen Miet- und
Eigentumswohnungen jetzt schon als besondere „Sparangebote“ … mit knapp
unter 1000 Euro pro Monat.
Das Eckhaus Johannes-Werner-Straße 22-23 / Herwegstraße 19 wird gerade
saniert/modernisiert und mit Kaminen (!) ausgestattet. Die Wohnungen des
gegenüberliegenden Eckhauses Sterndamm 103 & 105 / Johannes-Werner-Straße
1 sind dabei in Eigentum umgewandelt zu werden, bzw. es ist bereits
geschehen. Das gleiche passierte in der Hoevelstraße 6. Und kürzlich wurde
auch die Hoevelstraße 2 und 4, sowie das Objekt Sterndamm 100 an das
undurchsichtige Immobilienfirmengeflecht um Boris Gregor Marweld
(Baupartner Wohn- und Gewerbebauten Vermögensverwaltung GmbH) verkauft,
der mit seiner im Immobiliengeschäft tätigen Familie wohl als einer der
skrupellosesten Spekulanten von Berlin gelten muss.

So wirbt eine mit den Marwelds verbundene Immobilienfirma, die
selectberlin properties GmbH eines Freiherrn von Birkensee völlig
ungeniert mit dem, was dort harmlos als „Entmietung / Vereinbarung von
Auszugsvereinbarungen mit Bestandsmietern“ beschrieben wird. Was wirklich
dahintersteht (teils einfach kriminelle Nazimethoden und, dank der
aberwitzigen Gesetzeslage, juristisch-legale Schikanen schlimmster Art
durch einschlägig bekannte Anwaltsbüros) dürfte mittlerweile keiner
weiteren Beschreibung mehr bedürfen.
Es ließe sich seitenweise so weitermachen, doch die oben beispielhaft
genannten Objekte haben die Gemeinsamkeit, dass sie in unmittelbarer
räumlicher Nähe liegen und es offensichtlich eine Überlegung gibt, kurz-
bis mittelfristig Inseln mit „gehobenem Mietniveau“ zu bilden, die dann
auf den restlichen Kiez ausgedehnt werden. Dass es sich dabei wiederum nur
um eine Frage der Zeit handelt, erschließt sich aus der finanziell relativ
schlechten Lage vieler Privat-, bzw. Einzelvermieter, deren Mietwohnungen,
bzw. Objekte hier zur Zeit systematisch von Spekulanten aufgekauft zu
werden scheinen.
Wer den Kiez nur ein bisschen kennt weiß, dass niemand der jetzt hier
lebt, sich die zukünftigen Mieten wird leisten können. Aber das soll ja
auch niemand, denn in den Plänen der Investoren spielen weder die
mehrheitlich einkommensschwachen DDR-Renter noch die Masse der Hartz-4
Empfänger eine Rolle.

Deren Aussichten sind jetzt schon schlecht, denn um hier z.B. eine
2-Personenwohnung zu finden für die 450 Euro, die als Mietobergrenze für
Hartz-4 Empfänger gilt, bedarf es eines Wunders, auch wenn die
Mietensituation hier angeblich entspannt sein soll.
Gerade in Zeiten eines erodierenden Gesundheitssystems und unter
Berücksichtigung der speziellen lokalen demographischen Zusammensetzung
mit dem schnell steigenden Anteil pflegebedürftiger älterer und
hochbetagter Menschen ist es weder verantwortlich noch zumutbar, diese
Personen und pflegende Angehörige auseinanderzureißen. Und zwar weder hier
noch sonst irgendwo.
In diesem Sinne bitten wir sie alles zu tun, um diese Zustände bekannt zu
machen und Immobilienspekulanten und Miethaien die gesetzliche Grundlage
zu entziehen. Bitte setzen sie sich für eine neue Berechnungsgrundlage des
Mietspiegels ein. Denn selbst ohne Zwangsmodernisierung ist die bisherige
Methode ausreichend geeignet, Wohnraum so zu verteuern, dass sozial
Schwache sich diesen nicht mehr leisten können.
Fordern sie Kontingentwohnungen für Hartz-4 Empfänger in jedem geplanten
Luxusobjekt und verhindern sie das ganze Straßenzüge aufgekauft werden.

Reden sie sich nicht damit heraus, dass viele der relevanten gesetzlichen
Aspekte, Sache des Bundesrechts sind. Wir wissen und sie wissen es auch,
dass es auf lokaler und Landesebene durchaus Möglichkeiten gibt,
(Immobilien-)geschäfte indirekt so einzuschränken, dass diese schlicht
unattraktiv werden. Wenn es diese Möglichkeiten nicht gibt, schaffen sie
diese.
Glauben sie nicht Gentrifizierung sei notwendig, teilweise positiv oder
etwas, was man im fortgeschrittenen Stadium noch beherrschen könnte.
Hinterfragen sie auch ihre eigene Rolle, die ihrer Parteien und der von
den Ländern (und damit von ihren Parteikollegen) kontrollierten
Einrichtungen, wie dem Berliner Liegenschaftsfonds oder der HSH Nordbank,
die z.B. mit den oben genannten Marwelds gute Geschäfte macht und Kredite
gewährt.

Danke für ihre Aufmerksamkeit.

mit freundlichen Grüßen.

Die Urheber*innen

Als kleine Inspiration geben wir ihnen noch dieses Zitat von Erich Kästner
mit auf den Weg.

*An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht,
sondern auch der, der es nicht verhindert.* “ „

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