Dialog 3: An die Blinden & Tauben im Kiez und an den Heimatschutz

Vor einem Jahr stellten wir folgende Frage:  „Alle Menschen im Kiez, die unsere Arbeit nicht wertschätzen und uns in der Wortwahl immer für zu radikal halten, die in den Kneipen und Cafes über uns schlecht reden und froh wären uns gäbe es nicht: Wo ist Euer Herz, wenn wir hier verdrängt werden? Was wollt Ihr dafür tun, dass alle bleiben können, die hier leben wollen? Wenn Ihr Mut habt, dann antwortet.“

Um ehrlich zu sein; es hatte niemand den Arsch in der Hose gehabt. Nur ein Journalist hat uns mal beschimpft, aber der war auch zu feige seine Ergüsse veröffentlicht zu sehen.  Am Ende seiner Verteidigungsrede für die Spreeuferbebauung untersagte er uns die Veröffentlichung. Immerhin hat er den Mumm gehabt uns zu schreiben.

Ein Gartenzwerg-Freund aus dem Kiez, der vor zwei Jahren mit Inbrunst Plakate von uns mit persönlichen Schmähungen bedachte, versucht sich jetzt in einem „1. Internationale Treptower-Baumscheibenfest“, so sein Flyer. Darin heißt es: „Gegen Spalter, Rassisten und Sexisten“. Damit meint der Mensch nicht etwa die Menschen, die andere aus dem Kiez verdrängen – sondern jene, die sich dagegen wehren. Wir bieten auf jeden Fall an bei dem Straßenfest mit zu machen, um zu zeigen wie man die Baumscheibe vor dem Kopf wieder wegkriegt, die den Blick aus der pseudoheilen Gartenzwerg-Welt auf die Realität versperrt. Beispielsweise,  dass die letzen Grünflächen hier im Kiez mit Eigentumswohnungen zugeklotzt werden.

Ähnlich dörflich geht es zu wenn selbsternannte „Kiezbürgermeister“ zu einem Treffen, mit dem wohlklingenden Namen „Sozialbündnis“, Anwohner und soziale Kiez-Projekte laden und dazu explizit die Baugruppen einladen. Baugruppe als soziales Projekt – selten so gelacht, ist doch die Bionadebourgeoisie, diese pseudoalternative Mittelschicht, massgeblich um Aufwertung des Kiezes bemüht. Steigert ja auch den Wert ihrer Immobilie. Verdrängung ärmerer Einkommensschichten im Preis von 2000 – 2750 Euro den Quadratmeter inbegriffen, ohne einen Finger zu rühren. Der Rest macht der Senat und der Miet(erhöhungs)spiegel. 2013 steigt er wieder der Mietspiegel – und die armen Hausbesitzer und Stadt & Land werden wieder gezwungen sein die Miete leider, leider zu erhöhen. Wenn wir ihnen nicht kräftig Ärger machen …

Bleiben wir bei „im Dorf“; ähnlich absurd ist es wenn kleine SPD-Karrieristen im Kiez am liebsten ihr Dorf nachbauen würden, das sie vor Jahren verlassen haben, um jetzt nach Gutsherrenart die Kungel-Kiez-Initiative zu führen. Da wird gemobbt und geätzt was das Zeug hält, da werden jene aus der Ini rausgedrängt, die dem Kommando nicht gehorchen oder schlicht keine Lust haben auf alles was einem da vorgesetzt wird. Da zieht man sich seine Höflinge heran, am besten aus der gleichen Partei kommend. Dass der ganze Laden wohl nur noch pseudodemokratisch geführt wird, dass es keine wirkliche Mitbestimmung gibt – geschenkt. Hauptsache das Dorf wird genauso spießig wie man selbst. Und da kann man sich nicht mit jenen gemein machen, die sich im Kiez kaum noch halten können.

Doch es gibt sie aber, die großen Helden. Die Kämpfer, die noch mehr wollen. Zum Beispiel der Professor aus dem Baugruppenhaus KarLoh. Er beschimpft Leute von „Karla Pappel“, sie würden die Bewegung spalten. Also, er meint, die linke Bewegung. Er ist natürlich Teil davon. Und – das ist toll – der meint das ernst. Als Professor für Ethnologie ist er nämlich ganz nah an den MigrantInnen dran. Er versteht sie. Er weiß was sie brauchen. So redet er. So verhält er sich. Paternalistisch, partriarchal, schlicht selbstherrlich. Ein Gutmensch, der dem Kiez nur Gutes will und sich wundert, dass viele darauf mehr als pfeifen. Es gibt eine wunderbare Aufzeichnung von ihm, wie er Menschen erklärt, dass er – der Steuerzahler – überhaupt dafür sorgt, das in diesem Kiez (noch) Leute mit Hartz IV leben können.

Mit solch einer Linken brauchen wir keine Rechten mehr. Wir wissen auch gar nicht wohin mit unserer Dankbarkeit. Die Probleme der einkommensschwachen Menschen in diesem Kiez, in den Nachbarkiezen, sind trivial gegen die Leistungen der Baumscheibenschützer und der Heimatschützer und Eigentumsschützer.

Nun gibt es Karla Pappel seit bald vier Jahren. Und doch tun die Berichte von Menschen jedes Mal auf das Neue weh. Und wir kennen sehr viele – meist aus persönlichen Gesprächen.

  • Zum Beispiel die Nachbarin, selbstständig, gegängelt vom Arbeitsamt weil Aufstockerin. Lebt ständig mit der Angst, dass sie aus der Selbstständigkeit fliegen könnte, weil das Arbeitsamt genau das gerade bei ganz vielen Selbstständigen versucht, die  sich in deren Augen nicht rentieren. Als Billigkräfte auf dem Arbeitsmarkt – das wäre dem Arbeitsamt recht und billig.
  • Oder wir könnten von der Frau berichten, deren Miete bei Stadt & Land erhöht wird. Die keine Kraft zum Kämpfen mehr hat. Die dankbar ist das es Karla Pappel gibt, aber selbst keine Zeit und Resource frei hat neben ihrer Ausbildung und dem Überlebenskampf noch was anderes zu machen.
  • Oder eine Frau, deren Firma hier im Kiez, für die sie als Freiberuflerin arbeitete, von einer anderen Firma geschluckt wurde. Die Leute wurden rausgeschmissen und damit hat sie nicht nur den Job verloren, sondern auch den sozialen Rahmen, mit den Kollegen und Kolleginnen, von denen sie Arbeitsaufträge entgegennahm. Hier im Kiez wohnend und arbeitend.
  • Oder von einer ehemaligen Mitstreiterin, die in einem Haus wohnt, das auch so einem ex-linken Mittelstandstypen gehört (ex-Hausbesetzer / Baugruppenfreund). Sie kann kaum noch die Miete zahlen, sucht eine Wohnung mit ihrem Sohn. Sucht Arbeit. Findet nix. Muss eventuell ganz wegziehen …

Wir könnten aktuelle Berichte von Stadt & Land-Leuten hinzuziehen, von Obdachlosen. Doch wir erinnern, das wir vor einem Jahr aufgefordert haben zu einem Dialog. Den nachfolgenden Brief an uns veröffentlichten wir im letzten Jahr unter „Dialog“,  so wie er ist. Nur den Namen hatten wir geixt. Es hat sich gezeigt  – zu einem wirklichen Dialog sind sich die Akteure zu fein, zu eitel, zu reich … Wir weigern uns Mieterhöhung, Verdrängung und Verarmut zu akzeptieren – ebensowenig wie die soziale Zerstörung des Kiezes durch die neue Mittelschicht, die Eigentumshäuserbauer und ihren Parteien und die geldgierigen Investoren …

Hier der Brief:

„Bei der Gelegenheit schütte ich mal grad mein Herz zum Thema ein bissl aus. Miete, bei mir ca. 535 Euro zur Zeit (damit wohl noch günstig !?) , d.h. Betonwände mit Fenstern drin, ganz obendrauf ein Dach, Badewanne, Fliesen, Zuleitungen für Wasser und Abwasser, Strom (bezahle ich extra), Gas (hab ich gekündigt), Breitbandkabel (gekündigt wegen extremer Belästigung durch Kabel Deutschland), Müllabfuhr in den BK enthalten und kaum beeinflussbar individuell, na ja, und sonstiges, wie Versicherungen, Hausreinigung etc. Das Haus ist aus Anfang des 20.sten Jahrhunderts, müsste also in der Herstellung incl. Zinsen längst abbezahlt sein. 1996/1997 gab es eine umfassende Sanierung und Modernisierung, staatlich bzw. sogar EU gefördert d.h. für mich, der Eigentümer hat beträchtliche finanzielle Mittel dafür erhalten. Ich habe viele Jahre, besser gesagt Jahrzehnte, sehr viel gearbeitet und Steuern gezahlt, vielleicht auch hierfür? Jetzt, seit ein paar Jahren steigen die Mieten, die vertraglich festgelegte maximal mögliche Erhöhung wegen der Förderung ist bereits ausgelaufen. Stadt und Land, mein Vermieter, hat in den letzten Jahren erhöht bei mir bis zur gesetzlich erlaubten Höchstgrenze, 20 % in 3 Jahren. Ich frage mich, wie kann das sein? Wie kann es sein, dass ein paar Betonwände mit Fenstern drin, fast 100 Jahre alt, mehr kosten monatlich, als die Lebenshaltungskosten eines Menschen, die er für Nahrung benötigt? Wie kann es sein, dass ein Mensch ca. mehr als einen halben Monat dafür arbeitet, ein irgendwie Dach über dem Kopf zu haben, welches ihm dann auch noch niemals selbst gehören wird. Wie kann es sein, dass in dieser Stadt unter Rot/Rot, Menschen, die entweder weil sie in Hartz4 abgestürzt sind und schon genug erniedrigt werden in diesem System, auch noch ihre Wohnungen verlassen müssen, weil diese ein paar Euro zu teuer oder ein paar Quadratmeter zu viel sind, weil vielleicht die Kinder ausgezogen sind, Wohnungen, in denen sich Lebensgeschichte ereignet hat, an denen diese Menschen auch hängen mit ihren Erinnerungen, die sie als ihr ZUHAUSE empfinden und über sehr viele Jahre empfunden haben? Ich habe meine Antworten darauf, wollte es dennoch mal so als Fragen formulieren. Ja, Wohnungen sind eine Ware die gehandelt wird (hier das Mantra: der „freie“ Markt regelt ja alles und ist letztlich zum Wohle des Menschen?“, diese Handelsware und deren Wert wird über mysteriöse Mietpreisspiegel abgebildet und bildet die Grundlage für mögliche Preiserhöhungen. So ist das System derzeit….ätzend. Genauso ätzend finde ich, dass ich für eine vermeintliche Wohnwertverbesserung mehr bezahlen soll (an der Wohnung selbst wurde gar nichts mehr gemacht, hier gibt es nur normalen Verschleiß), die sich für mich aber individuell eher als Wohnwertverschlechterung darstellt. Ich brauch keine von Spießern besiedelten Kneipen; die vielen neuen Supermammies und Superpappies mit ihren Superkids gehen mir unendlich auf den Keks, die Jogger, die sich beim Laufen noch parallel über ihr daily business unterhalten oder die sogar noch joggend den Kinderwagen vor sich herschubsen, die ganzen Baby-am-Bauch Träger wo ich immer das Gefühl habe, jetzt irgendwie Beifall klatschen zu müssen weil das ja so toll ist und die Welt verbessern wird… Hat der Geplagte eine Alternative? Etwa in den Wald gehen und sich dort aus Holz eine Behausung zimmern? Nein, geht auch nicht, verletzt die Regeln und ausserdem gehört der Wald ja auch schon irgendjemandem… Keine Chance oder man spielt mit in diesem perversen System, nimmt Kredite auf, kauft sich Beton und paar Quadratmeter. Ganz ehrlich, ich war immer ein sehr friedfertiger, auf Harmonie bedachter Mensch, Toleranz und Freiheit stehen bei mir ganz oben an auf meiner Wertescala und so lebe ich auch…eigentlich. Nur hier komme ich an meine Grenzen. Ich will keine angeklebten Zettel mehr an der Haustür sehen (suche Wohnung, biete Prämie), ich möchte (ganz egoistisch) meine Nachbarn behalten (Rentner, Hartz4, Behinderte, Arbeiter..viele andere auch), ich möchte selber hier wohnen bleiben, ich möchte keine neuen hässlichen Betonklötze hier mehr sehen, die die letzten Grün-und Freiflächen belegen… ich habe schlicht keinen Bock darauf, dass irgendwelche „Neureichen“ Fuzzies hier den Kiez übernehmen. So, musste ich mal loswerden, schicke es nicht an den ganzen Verteiler, sondern an das liebe Pappel-Team; kann aber gerne auch weitergeleitet werden. Für den Fall ein Weiterleiung, bitte nehmt dann meine email-Adresse als Absender raus; DANKE. Ich werde die Aufrufe zur Demo am 03.09. ausdrucken und genau dahin im oder am Hausflur kleben, wo ich diese „Suche Wohnung hier im Kietz“ mit evtl. biete Prämie, immer abreisse.

LG XXX PS: Macht weiter so !“

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