„Michael Müller redet mit Freunden über die Zukunft der Stadt“

+ Nuriye und ihre Freunde denken mit +

 

Am Montag, den 3. September lud der Stadtentwicklungssenator Michael Müller zum zweiten mal zum Thema „Wohnen in Berlin“ in die Friedrich Ebert Stiftung ein. Das Thema Wohnen ist „zurück auf der politischen Agenda  … und wieder ein zentraler Punkt in der Regierungspolitik des Berliner Senates.“ , heißt es in der Zusammenfassung der ersten Veranstaltung. Nun hat der Senat einen notwendigen Schritt getan, „…um die Probleme von Mietsteigerungen, Zweckentfremdung, zu geringer Bautätigkeit und Gentrifizierungsängsten aufzugreifen…
+ Nuriye, Renterin im Rollstuhl mit migrantischem Hintergrund, wohnt in einer behinderten-geeigneten Wohnung, die ehemals eine Sozialwohnung war, und weiß wovon der Senator da redet. Sie kennt den Begriff der Gentrifizierungsangst nicht, aber sie kennt die Angst, demnächst aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt zu werden. Der Georg, was ihr Hauseigentümer ist, will ihre Wohnung als Eigentumswohnung verkaufen, so wie er es schon mit den meisten Wohnungen in diesem Haus praktiziert hat. Das konnte der Georg, weil der Michael zu einer Regierung gehört, die genau das dem Georg ermöglicht hat. Und nun hat die Nuriye, die trotz eines langen Berufslebens und als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern auf sogenannte „Grundsicherung im Alter“ angewiesen ist, große Angst, demnächst obdachlos zu werden, denn es gibt keine preiswerten Wohnungen in ihrem Kiez, die das Amt noch bezahlen würde. +

Aber nun wird ja der Michael aktiv und trifft sich mit Freunden, „…um die Themen Bestands- und Neubaupolitik, Durchmischung und Segregation, Gestaltung und Marktmacht zu diskutieren. Die Weiterentwicklung der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik soll unter intensiver Einbeziehung der relevanten Akteur_innen und in Beratung mit der Stadtgesellschaft erfolgen“.  Auf der ersten Veranstaltung zum Thema Wohnen waren alle Akteure eingeladen, so auch die „Dossiergruppe“, ein Zusammenschluss aus MieterInnen, die in ihrem Haus jeweils ein riesiges Problem haben, von dem sie ausgehen, das es viele andere MieterInnen genauso betrifft. Darum hatten sie ein Dossier erarbeitet, das konkrete Forderungen an die Politik enthält. Auch sie durften, wie alle anderen Akteure damals nach der Kutschapitschamethode zwei Minuten reden. Ja, es ging demokratisch zu auf dieser ersten Veranstaltung, alle hatten dieselbe Redezeit, man viel sich nicht ins Wort und schreibt „Akteur_innen“ j
etzt auch mit Unterstrich.

+ Nuriye geht lieber aufs KottiCamp, da trifft sie viele aus der Nachbarschaft mit ähnlichen Problemen und fühlt sich wohl. Es gibt Tee und man plaudert über dies und das und ist vereint in der Sorge um die Zukunft.+

Wir sitzen in der Friedrich Ebert Stiftung, denn der Michael hat sich Freunde aus Hamburg und Köln eingeladen, um von ihnen zu lernen.  Zuerst aber spricht der Michael darüber, was der Berliner Senat beschließt: 15 Mio an günstigen Zuschüssen für seine Genossenschaften bereit stellen und die Forderungen der SPD an den Bundesrat jetzt schon in Berlin durchsetzen: statt11% Mod.-umlage nur noch 9%, statt 20% alle 3 Jahre nur noch 15% alle 4 Jahre Mietsteigerung nach Mietspiegel. Die ZweckentfremdungsVVO soll nach Gebieten neu festgelegt werden und in der Liegenschaftspolitik will man „Verabredungen treffen“. Eine Sozialklausel soll Mietern, die jetzt schon in kleinen und teuren Wohnungen leben, vor weiteren Mietsteigerungen schützen.  Langsam wird es nun auch mein Senator, denn er versteht, so sagt er, den Trend in der Metropole zu leben, „…weil man Infrastruktur braucht“.

+ Genau so geht es auch meiner Freundin Nuriye, sie hat hier ihre Infrastruktur, Leute die sie kennt, die ihr helfen. Sie sitzt zwar im Rollstuhl, aber ob nun das Rad am Rollstuhl klemmt oder das Katzenfutter fehlt, sie weiß, wen sie ansprechen kann und ist fast nie allein.+

Dann spricht Herr Sachs aus der Hansestadt Hamburg, er war einer der 68er. Damals lebte er in einer WG und er versteht nicht, warum man heute mit sich allein zieht. Damals hatten die 6 späteren Alt68er ein Bad, eine Küche, einen Flur, aber heute muss ja jeder ein Bad, eine Küche, einen Flur haben, kritisiert er.

+ Wenn Nuriye jetzt hier wäre, dann könnte sie Herrn Sachs beruhigen, denn in ihrem Umfeld geht der Trend wieder in seine Wunschvorstellung. Rund um den Kotti sind schon viele noch weiter zusammen gerückt über drei Generationen hinweg und trotzdem bleiben für ein Drittel der Bewohner nur weniger als 200 Euro im Monat zum Leben. Sie ahnen nicht, dass sie die heimlichen Wohnwünsche von Herrn Sachs aus Hamburg leben.+

Diesen Gedanken parkend, lausche ich seinen Erfahrungen in der Wohnungspolitik und die ist schnell erzählt: Als Wohnungsbaukoordinator ist er der Knotenpunkt und Ansprechpartner für alle Investoren, da macht er dann Runde Tische und Todolisten und dann ab in die Verwaltung und hast du nicht gesehen ist die Baugenehmigung erteilt, zur Not auch nach Paragraph 34 und weil es so schnell ging, hat man dann auch noch Wünsche und Forderungen an den Investor. Nein, Hamburg hat „keine Wohnungsnot, sondern nur Probleme“ so Sachs und die lösen wir so, also er und die Investoren. Denn auch er, der Herr Sachs hat jetzt ein Problem, denn er lebt auf 200qm in einem Einfamilienhaus am Rande der Stadt, allein. Aber wenn er das jetzt verkauft, dann reicht das für eine 3 Zimmer Wohnung in Ottensen, auch Alte ziehen wieder in die Stadt.

+ Abends sitze ich bei Nuriye und erzähle ihr von den Wünschen und Erfahrungen von Herrn Sachs aus Hamburg. Und wir sind uns sehr schnell einig, er muss nicht allein in einer 3Zimmer Wohnung in Ottensen wohnen, er darf gern zu seinen alten Wohnerfahrungen zurückkehren, denn wo sich 5 ein Bad teilen hat auch der Herr Sachs bei uns noch Platz. Und da haben wir den Fehler im System erkannt, nicht wir setzen uns an seinen Runden Tisch, sondern er an unseren. Und das würde sicher auch dem Georg, was der Eigentümer von Nuriye ist, gefallen, denn der hat 4 Schlösser und das ist ja sicher noch viel einsamer, nicht zu wissen, in welchem Schloss man abends auf Klo gehen soll, einsam und allein.+

Genau das sagt auch mein Stadtentwicklungssenator, denn er will die Vielfalt der Interessen erkennen, um „…daraus resultierende Sichtweisen darzustellen und anzuerkennen“.

+ Nuriye zweifelt ja noch, ob der Herr Sachs sich bei uns und mit uns am Kotti so wohl fühlt, aber ich denke da, manchmal muss man ja jemanden auch zu seinem Glück zwingen und wenn der Georg und der Herr Sachs erst einmal erkennen, wie gern wir hier miteinander leben und dass die städtische Infrastruktur nicht nur aus Spielhöllen und Bordellen besteht, sondern aus Tee trinken auf dem KottiCamp, bei dem jede menschliche Regung umsonst ist, dann muss der Georg sich auch keine Gedanken mehr um Geld machen, um noch ein Schloß zu kaufen und auch dort einsam auf Toilette zu gehen und damit hätten wir das Problem mit der Miete dann auch gelöst und Nuriye müßte nicht zwangsgeräumt werden. +

Aber das letzte Wort hat natürlich unser Senator, der das alles schon durchdacht hat: „Denn Erfolge und Fortschritt sind nur durch gemeinsames Denken und Handeln möglich“.

Zitate aus „Wohnen in Berlin“, eine Zusammenfassung der ersten Veranstaltung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in Kooperation mit der Friedrich Ebert Stiftung, Forum Berlin

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