„Liebe Baubegeisterte“ unter Druck

„Liebe Baubegeisterte“ waren geladen. Ein neues Baugruppenprojekt im Kunger Kiez. Mal was ganz Neues. Ein großer Spruch empfing groß gerahmt am Eingang des Architekturbüros die BesucherInnen: „Wenn man lange genug alles falsch gemacht hat, hat man am Ende alles Richtig gemacht.“ Für Orientierung war somit gesorgt. Das Falsche ist gerade Richtig genug für die Architekten. Man baut Scheiße und fühlt sich wohl dabei. Ein ausführlicher Bericht:

Natürlich: die Bionade stand gekühlt auf dem Tisch. Die Menschen versammelten sich rund um den Tisch in dem geräumigen Architektenloft. Der Blick vom vierten Stock der Köpenikerstraße 48/49 (Aufgang D) auf die Spree muss den Baugruppenarchitekten eine Freude sein. Der Strandclub „Kiki Blofeld“ wird gehen müssen, wenn die neue Mittelschicht in die letzten Brachen drängt. Denn auch hier planen die Architekten (Christian Schöningh) Eigentumswohnungen – in Sichtweite.

Die Architekten Till Degenhardt (Baugruppe Zwillingshaus), Claudia Ostwald und Ralf Großbongardt (beide Baugruppe Schmollerplatz 1 ) staunten nicht schlecht über die vielen InteressentInnen.

Die Stadtteilinitative „Karla Pappel“ hatte sich unter die BaugruppeninteressentInnen gemischt. Ungebeten wurde einer Einladung zu einer „Informations- und Auftaktveranstaltung zu unserem Baugruppenprojekt“ gefolgt. Seit mehr als zwei Jahren sind die Baugruppen zum Motor für erhebliche Unruhe im Kiez geworden. Mittlerweile wird der Kiez zu einem zweiten Prenzelberg – Baugruppen gibt es mittlerweile an die Sieben.

Neu nun, dass die Kritiker_Innen die Architekten sogar an ihren Arbeitsplätzen aufsuchen und die offensive Diskussion mit deren Klientel suchen und einfordern. Der Druck auf Baugruppenmitglieder verstärkt sich. Niemand soll sagen können, dass er noch nie was von Verdrängung und Mieterhöhung durch die neue „alternative“ Mittelschicht gehört habe. In der Runde ergriffen immer wieder verschiedene Kritiker_innen das Wort und forderten die Auseinandersetzung mit den Gästen ein: Baugruppen würden für eine Aufwertung des Kiezes stehen und den Mietspiegel nach oben treiben. Die alteingesessene Bevölkerung aus dem Ostteil Berlins ist mittlerweile unter starken Verdrängungsdruck geraten. Alleinerziehende, Hartz IV EmpfängerInnen und andere Arme stünden zum Teil mit dem Rücken zur Wand. Dem hielten ein Teil der Versammelten entgegen, dass sie in den angrenzenden Kiezen selber unter Druck wären und „nun ihr Geld in was Festes investieren wollen.“ Eine Architektin aus der Ohlauerstrasse spitzte es für sich zu: „ Die Wohnung ist zu klein und zu laut, in meinem Kiez finde ich keine Wohnung mehr, ich suche jetzt günstiges Eigentum. Vor drei Jahren wäre ich nicht auf die Idee gekommen Eigentum bilden zu wollen. Die Mietwohnungen sind aber so teuer geworden.“ „Ich will mich moralisch dafür nicht mehr rechtfertigen“ wurde sie ergänzt. Überhaupt war es einigen Beteiligten ein wichtiges Anliegen – man wollte von der Kritik nichts hören und möge mit der Veranstaltung fortfahren. Weil; man: „will in Berlin bleiben.“  Ein verständlicher Wunsch, den wahrscheinlich alle Anwesenden teilten. Mit dem Unterschied, das Karla „Pappel“ den „lieben Baubegeisterten“ vorhielt, ihren Platz in einem strukturell angelegten Verdrängungsprozess mühelos auszufüllen. Nur mit Anstrengung konnten die ArchitektInnen zu dem Ziel der Veranstaltung zurück finden und den Neubau in der Krüllsstraße 6-10 an den Mann und die Frau bringen. Eigentlich scheiterten sie.  Zuviel der sozialen Konfrontation. Und auch „Karla Pappel“ staunte nicht schlecht, denn auch einige baugruppeninteressierte Gäste gingen merklich auf Distanz zu dem Bauvorhaben mit Eigentumskonzeption. Die Architekten bemühten sich noch vergeblich Ihrer Geschäftsidee einen neutralen, fast selbstlos anmutenden Anstrich zu geben. Man moderiere ja nur die Bedürfnisse der Baugruppenmitglieder und diese würden ja letztlich über alles selbst entscheiden – eben auch über die Sozialverträglichkeit im Kiez. Ein Baugruppenbesucher mit Interesse an einem Haus für sein großes Wohnprojekt erinnerte die Architekten daran, dass sie Einladende und somit Akteure seien. Baugruppen finden sich zu den Bedingungen der Architekten ein. Sie bedienen ein Klientel, das es sich leisten könne so zu bauen. Großbongardt gestand dann erstaunlicherweise ein, dass natürlich Baugruppen den Wohnungsmarkt beeinflussen würden. „Sie haben Auswirkung auf den Kiez.“

Wenn genügend Baugruppenmitglieder gefunden werden wird gebaut. 2.200 Euro der Quadratmeter. Das Gelände ist aber bis zum Grundwasser verseucht. Den aktuellen Besitzer hat Karla Pappel längst recherchiert: Die Grundstücksverwaltung GmbH & Co. KG sitzt in der Rödingsmarkt 52 in Hamburg. Weil diese, laut Architekten, die ursprünglich getrennt operierenden ArchitektInnen ausspielen wolle, habe man sich zusammen getan. Das Grundstück sei reserviert und man scheint darauf  zu hoffen den Besitzer gemeinsam über den Tisch ziehen zu können: so eine Anwesende im internen Gespräch mit „Karla Pappel“.  Schon einmal scheiterte der Versuch das Gelände in Besitz zu nehmen. Die Verseuchung war zu hoch für eine Bebauung. Außerdem fiel eine Baugruppeninformationsveranstaltung („Janushaus“)  vor einem Jahr aus.  Eine öffentliche Ankündigung von „Karla Pappel“ der Versammlung beizuwohnen führte zu Kurzschlussreaktionen bei Architekt Schöningh. Er lud alle BaugruppeninteressentInnen aus. Darauf hin war auch eine Anwesenheit der Stadtteilinitiative nicht mehr von Nöten. Ein Kiezspaziergang endete im übrigen letztens auf dem Gelände mit ungefähr 80 bis 100 Menschen.

Als sich Claudia Ostwald unter ihresgleichen wähnte, personifizierte sie den Konflikt mit der Stadteilinitative. Sie wußte über das Leben einzelner AktivistInnen mehr zu berichten als  ihnen  selber bekannt ist. Unter Architekten nichts neues.  Auch die Baugruppe „KarLoh“ sinnierte in alten, uns zugespielten Mails, das sie zwar die AktivistInnen nicht „kaltstellen“ könne, aber die Gruppe „kleinzuhalten“ und zu „isolieren“, das wollte man versuchen. Nach außen tat man immer dialogbereit.  Bekanntlich gescheitert. Frau Ostwald  schließlich bewegte mit Ihrer persönlichen Schmähung einen irritierten „Baubegeisterter“. Die Person nahm  Kontakt zu „Karla Pappel“ auf.  Ingesamt kein guter Tag für die Baugruppe im Kiez. Aber jede Menge Raum für neue Fehler.

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